Pferde lieben klare Kommunikation und teilen sich untereinander sehr fein und deutlich mit. Die Bereitschaft, diese meist sehr subtilen Dialoge lesen zu lernen ist unsere allererste Aufgabe. Nicht nur aus Respekt den Pferden gegenüber sondern auch weil wir viel seltener in stress- oder angstauslösende Situationen kommen werden, wenn wir und unsere Pferde uns gegenseitig lesen und verstehen können.

Allen Pferden ist das Lesen der Wesen um sie herum von der Evolution mitgegeben worden. Ohne die Fähigkeit, Situationen blitzschnell und umfassend einzuschätzen und ohne ihren gut ausgeprägten Fluchtreflex gäbe es sie schon lange nicht mehr. Das betrifft nicht nur die Körpersprache sondern auch alle die Informationen, die wir weit früher aussenden, nämlich die Energien unserer Gedanken und Gefühle.

 

Was sich (Schul)pferde wünschen?

Das weiß ich nicht im Detail, aber sicher ist ihre Wunschliste sehr lang.

Ich wünsche mir in Reitschulen reine Beobachtungs-Stunden auf der Koppel oder im Paddock, bevor die Menschen das erste Mal ein Pferd berühren und putzen, lange bevor sie ein Halfter in die Hand bekommen und Führen lernen. Und sehr lange, bevor sie sich das erste Mal auf ein Pferd setzen. Meinen Schülern empfehle ich gerne, sich heimlich an ihr Pferd, Pflegepferd oder Reitbeteiligung „anzuschleichen“ und einige Minuten stiller Beobachter zu sein, bevor das Pferd sie sieht oder hört. Die Frage „Was macht dein Pferd den ganzen Tag?“ können nicht viele Pferde-Menschen beantworten.

 

Vor dem Reiten kommt die Bodenarbeit. Aber was kommt vor der Bodenarbeit?

Vor den ersten Führübungen kommt bei mir die erste freie Kommunikation im Paddock, der Reithalle oder dem sicher eingezäunten Reitplatz. Warum? Pferde verbringen 24 h am Tag miteinander. Stute und Fohlen oder befreundete Pferde grasen Seite an Seite, gehen gemeinsam zur Tränke oder an bevorzugte Futterplätze, bieten sich in Ruhezeiten selber zu Wachdiensten ein. Sie animieren sich gegenseitig zum Spiel oder zur gegenseitigen Fellpflege usw. So bildet sich eine Gemeinschaft, die Sicherheit in einer verlässlichen und stabilen Struktur bietet. In diesem Rahmen fühlen sich Pferde sicher und geborgen und entscheiden selber, wem sie in welchen Situationen vertrauen. Das zu beobachten, mit dem Kopf zu verstehen und über das Gefühl zu verinnerlichen ist Gold wert!

Ich bin seit 31 Jahren Selbstversorger, davon 27 in Offenstallhaltung, und möchte die „Arbeitszeit“ selten missen. In diesen täglichen 1 – 2 Stunden kommen viele Dialoge zustande, die mir Auskunft geben wie meine Pferde gerade drauf sind. Ich erfahre wie sie zueinander stehen und welche Rolle ich in den Momenten spiele, in denen ich ein Teil der Herde bin.

Aus dieser gemeinsam verbrachten Zeit entsteht eine Verbundenheit, die mir im täglichen „Training“ die meiste „Arbeit“ abnimmt: Meine Pferde kennen mich, meine Energie, Bewegungen, Ideen, Sprache. So gibt es in den allermeisten Fällen überhaupt keine Aufreger, wenn wir etwas neues kennen lernen. Hier schaut sich mein damals etwa zweijähriger Tinker Findus zum ersten Mal eine Wasserbox an. Bald soll dort Wasser drin sein, so dass ich seine Hufe auch in trockenen Sommern gut bearbeiten kann. Gerade Strahl und Sohle von Tinker-Hufen sind sehr viel besser zu bearbeiten, wenn das Pferd direkt vor dem Termin eine Weile im Wasser gestanden hat. Also haben wir erst einmal ohne Wasser geübt:

 

Vorübung zum Hängertraining

 

Wer bewegt wen?

Dominanz-„Spiele“ im Roundpen oder am Seil empfinde ich als sinnfrei und unnötig bzw. schädlich für die Beziehung. Allerdings achte ich im täglichen Umgang in der Herde darauf, dass Pferde mir nicht das Heunetz aus der Hand zerren bevor es hängt und stelle die Futtereimer erst hin, nachdem beide Pferde in ausreichendem Abstand vor mir stehen. Ansonsten gehen sie ein oder zwei Schritte zurück. Durch Türen gehe ich sowieso als erstes, es sei denn ich schicke sie absichtlich vor. Wenn mein Stütchen Florina sich gezielt vor die „Klo-Ecke“ stellt damit ich sie kratze statt Mist aufzugabeln ist das zwar knuffig, aber weil ich erst meine Arbeit machen möchte schicke ich sie freundlich zur Seite.

Wenn wir täglich auf diese Kleinigkeiten achten, können wir uns „Dominanz-Übungen“ während der „Arbeit“ sparen!

 

In einem echten Dialog darf das Pferd auch „Nein, so fühle ich mich nicht wohl“ sagen

Dass viele Ausbildungs-Systeme als ersten Schritt „Erziehung“ am Halfter oder die angeblich natürliche Kommunikation im Roundpen wählen finde ich schade.  Ich kenne sehr wenige Menschen, die ein Pferd am Halfter und Seil so führen, als hätten sie sie nicht. Zugreifen, festhalten und kontrollieren sind feste Bestandteile im Verhalten vieler Menschen. Teils haben wir es mit angeborenen Reflexen zu tun, teils handeln wir aus Angst vor Mangel oder Verlust. „600 kg effektiv zu kontrollieren ist schwierig, also halte ich mein Pferd doch lieber super kurz und überwache jede seiner Bewegungen, damit es nicht auf dumme Gedanken kommt“ ist bei vielen Menschen unterschwellig immer im Kopf. Und dann schreit auch noch das Ego „Das darf der aber nicht“ wenn das Pferd tänzelt, überholt, sich umdreht und versucht in eine andere Richtung zu gehen. Je eher wir uns also von der Illusion lösen ein Pferd in allen Lebenslagen kontrollieren zu können desto besser ist es für alle Beteiligten.

 

Freiheit im Roundpen?

Die Kommunikation im Roundpen lässt dem Pferd nicht wirklich freie Wahl, „Ja“ oder „Nein“ zu sagen. Im Falle eines „Nein“ kann es ja nicht weg. Wird mit Druck gearbeitet kann es nur laufen bis die Lungen schmerzen und sich dann „für“ die Kontaktaufnahme mit dem Menschen entscheiden. Aber was ist das für eine Wahl?

Wenn du einige Male Pferde in der Herde beobachtet hast und deutlicher und fühlst was zwischen ihnen geschieht, siehst du auch was zwischen diesen Pferden und ihren Menschen passiert. Du kannst die Qualität dieser Verbindungen immer besser einschätzen und Unsicherheiten, Fragen, Verwirrung und daraus resultierenden Ängste bei Mensch und Pferd wahrnehmen.

 

Warum ist dein Pferd so wie es ist?

Häufig beschreiben mir Menschen Ängste in Situationen, in die ich in meinem Leben bitte niemals kommen möchte. Ich wurde schon häufig gefragt ob ich mit einem Pferd „mal schnell“ dieses oder jenes reiten könnte um zu zeigen, wie ich ein bestimmtes Problem lösen würde. Und meine Antwort war mehrmals „Ich bin doch nicht verrückt…“ Dann haben wir gemeinsam eine lockere „Hausaufgabenliste“ erstellt und ich habe mich einige Male mit meiner Lieblingsfrage „Warum ist das so?“ unbeliebt gemacht. Wer sich drauf eingelassen hat und bereit war selber zu denken und zu fühlen konnte seine Herausforderungen mit wenig Hilfestellung meinerseits relativ entspannt selber lösen.

 

Vertrauen hängt für mich untrennbar mit Verstehen zusammen

Und mit Fühlen. Fühlen fällt mir persönlich sehr viel leichter wenn ich keinen in Beton gegossenen Plan habe. Natürlich ist ein roter Faden in der fachlichen Ausbildung existenziell wichtig. Aber wenn Kopf und Ego deutlich mehr Anteile haben als die Wahrnehmung von Gedanken und Gefühlen (unserer eigenen und der unserer Pferde) entstehen viel eher brenzlige Situationen.

Meine Empfehlung an dich ist daher der regelmäßige Wechsel zwischen Denken und Fühlen. Lernen über den Kopf ist wichtig und ohne Wissen um die Verhaltensweisen von Pferden, Anatomie, Physiologie, Lernen, Verhalten usw. können wir ihnen nicht gerecht werden, können sie nicht verstehen und werden immer wieder in Situationen kommen, die uns zu recht (!) Angst machen.


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Unsere Menschen-Welt mit Pferde-Augen sehen

Der „Brillenwechsel“ ist eine sehr effektive Übung. Je häufiger wir versuchen die Welt aus den Augen der Pferde zu sehen desto besser können wir sie verstehen und ihr Verhalten nachvollziehen. Dazu gehören Haltung, Bewegung, Fütterung, Herdenstruktur, Umgang von unterschiedlichen Menschen mit unserem Pferd usw. Es gibt viele gute Bücher, Lehrvideos und inzwischen und auch immer mehr hochwertige Online-Angebote. Außerdem könnt ihr als Teilnehmer oder Zuschauer auf Kurse fahren und dort Wissen aufsaugen. Futter für euren Kopf ist wichtig!

Und dann übt euer Pferd zu fühlen! Schritt eins waren die heimlichen Beobachtungen. Als zweiten Schritt empfehle ich den Campingstuhl im Paddock oder auf der Koppel. Meistens läuft das Beobachten erst über den Kopf und das ist auch gut so. Hinschauen ohne zu werten bzw. zu bewerten ist anfangs nicht einfach. Wir waren alle einige Jahre in der Schule und wurden spätestens dort in „richtig“ und „falsch“ oder zumindest „das kannst du aber besser“ eingeteilt. Dieses „gut“ und „schlecht“  wieder abzulegen will geübt werden 😉

 

Schick doch deine Sorgen mal zum Misten

Sobald wir gemütlich auf unserem Stuhl sitzen und unsere Alltagsgedanken zum Misten schicken, werden wir ganz automatisch nach einiger Zeit ein Teil der Energie der Gruppe.  Die Fähigkeit sich einzufühlen hilft, wenn unsere Angst uns unter Strom setzt, ausbremst und es darum geht zu entscheiden, ob gerade wir oder unser Pferd die eigentliche Baustelle hat.

Und was ist die Basis? Klare Dialoge für eine angstfreie Beziehung zwischen Mensch und Pferd

Hurra! Du hast den ganzen langen Text bis zum Ende gelesen.  🙂 Nun bist du herzlich willkommen in unserer Facebook-Gruppe „(Hoch)sensibilität bei Mensch und Pferd“